Mein Mann ist Ingenieur und er baut Tunnel. Er erzählte mir, daß während des Baus des Tunnels Frauen keinen Zugang zum Tunnel haben, da jeder Berg in Japan als weiblich angesehen wird und Frauen eifersüchtig sind (wohl wahr). Deswegen wird peinlichst vermieden diese Geister oder Inhaber zu verärgern und schon gar nicht mit Weibsbildern.
Nun sind wir am letzten Wochenende auf den Mount Fuji gestiegen. Schlappe 3,776 m. Mein Sohn sagte mir am Abendbrottisch: "Mama, ich würde gerne Mount Fuji besteigen." Ich sagte: "Okay!" Selig sind die Unwissenden!" Lach!
Mein Mann, der eigentlich im ganzen Jahr sein Poker-Gesicht trägt, schaute mich mit seinen leicht weiter geöffneten Augen als üblich an. Da ich schon zwei Gläser Wein an dem Abend hinter mit hatte gab ich dieser leichten Abweichung in seinem Pokerface keine weitere Bedeutung bei. Bis dato hatte ich noch nie einen Berg bestiegen und hatte weder Bergsteigerausrüstung oder sonst irgendeine Ahnung worauf ich mich einließ.
Am besagten Tag, einem Samstag im August, waren wir spät aufgestanden und mein Mann wollte seine Reserven beim schlafen im Bett sparen. Abends um 18.00 Uhr ging es dann an die Vorbereitungen. Ninja Verpflegung (Onigiri) für den Fußweg, liebevoll von meinem Mann fertiggestellt und Sandwich, american style - von mir. Dazu Wasser und heißen Tee, denn es sollte kalt auf 3,776m sein.
Gesagt getan, um 19.00 Uhr, ging es dann los und der Sonneruntergang bescherrte uns noch eine wunschöne Sicht von Yokohama aus. Während der Obon Zeit ist es nicht möglich bis auf die 5te Station mit seinem Auto hinzufahren. Man wird auf Parkplätze umgeleitet und bekommt gar nicht erst die Chance bis zur Station 5 zu fahren. Vom Sammelparkplatz aus geht ein Shuttles Service im halben Stunden Takt innerhalb von 40 Minuten zur 5ten Station hoch. Hunderte von Japanern nutzen diese Gelegenheit in den Sommermonaten. Im Shintoismus ist Fuji San heilig und bis zum Ende der Meiji Zeit waren Frauen auf dem Berggipfel nicht erlaubt.
Im Wikipedia Artikel wird immer wieder von Herrn Fuji gesprochen aber es ist Frau Fuji. Ich habe versucht diesen Artikel so zu ändern um Wikipedia darauf aufmerksam zu machen aber zum Schluß kam der Satz: San kann man mit Frau und Herr verwechselt werden weil San für Frau und Mann im japanischen steht. Na dann, eben nicht!
Zurück zu unserem Abenteuer am Mount Fuji.
Glücklich auf Station 5 mit dem Shuttle Bus angekommen und schon frierend mit leitcht bekleidetem T-Shirt stürtzen wir uns voller Elan auf den Berg. Nach den ersten 20 Schritten bin ich schon außer Puste. Irgendwie haben 20 andere Rucksacktouristen darauf gewartet, daß einer die Führung übernimmt und das war ich mit einer Taschenlampe in meiner Hand. In einem Affentempo maschieren wir auf Station 6 zu und ich kann nur noch: "wahnsinn, wahnsinn... " ausrufen, so irre ist der Anstieg. Trotzdem ist Station 6 relativ einfach mit Turnschuhen, im stockdunkeln, ungemütlichen Klima und Eiseskälte zu erreichen. Der erste Abschnitt unserer Tour ist also mit etwas Anstrengung durchaus machbar. Als wir an der Station ankommen, meint mein Mann, dass er gerne Abendessen möchte. Das kam für mich gar nicht in Frage. Wenn ich jetzt Abend esse, dann würde ich gerne schlafen gehen, da 21.00 Uhr für mich die optimale Zeit zur Nachtruhe wäre.
Wir kaufen also vier Wanderstäbe auf der Station 6, die mit einem Brandzeichen der 6 Station markiert sind und stürzen weiter den Berg hinauf. Die folgenden Stunden sind ein Kampf von 2,000 m auf 3,200m mit wunderschönen klaren Sternenhimmel und einem sensationellen Blick ins Tal bis hin zur Halbinsel Izu und dem pazifischen Ozean, bei Nacht wohlgemerkt. Wahnsinn! Bis dato habe ich die Fazination, die von Mount Fuji ausgeht, niemals verstanden. Einmal saß ich in einem Flugzeug nach Europa und der Pilot veraschiedete sich von Mount Fuji. Mein erster Ausflug mit meinem Mann in Japan war auf den nebligen (heute weiß ich es besser, schüchteren) Mount Fuji. Damals habe ich diesen Ausflug nicht verstanden, heute Abend aber verstehe ich es. Immer wieder halten wir an um uns auszuruhen und legen uns auf den Rücken um den Sternenhimmel zu genießen. Ein Erlebnis, daß ich noch nie in meinem Leben gelebt habe.
Gleichzeitig konnte man eine Lichterkette von Station 5 bis rauf zur Bergspitze sehen. Jedes Licht war ein Tourist. Wahnsinn! Jeder Japaner sollte mindestens einmal in seinem Leben Mount Fuji bestiegen haben.
Zwischen Station 6 und der alten 7 und neuen 7, wie auch immer, war es ein Kampf um vorwärts zu kommen. Splitt, der unter den Füßen nachgab und man einem Schritt nach vorne ging und zwei Schritte zurück glitt. Schritt für Schritt kämpften wir uns vorwärts. Vorbei an riesigen Gesteinsbrocken die bedrohlich über uns hingen und man jedem Moment damit rechnen mußte, daß diese in einer Gesteins Lawine herunterkommen. Hätte ich das vorher gewußt ....
Am liebsten hätte ich sofort wieder aufgegeben. Doch jedes Verschnaufen brachte ein Liegen auf dem Rücken mit sich und unvermeidlich sah man den Sternenhimmel und immer wieder stand man auf und ging weiter. Es war wie als ob man Bessesen war, ich wollte die Bergspitze sehen.
Nach 4 Stunden kamen wir auf Station 8 an. Inzwischen war mir Speiübel und ich wußte, daß dies die Anfänge einer Höhenkrankheit waren. Mein Mann buchte die Ryokan. Wir schliefen auf dem Boden auf Bettlaken mit Futons als Decken und es war eisig kalt von Boden her. Wir schliefen mit Fremden Kopf an Kopf in einem großen Raum. Wir fielen sofort in einen tiefen Schlaf. Als man uns zum Sonnenaufgang weckte interessierte uns dies wenig. Am nächsten Morgen wurden wir harsch geweckt, da wir nur für 6 Stunden bezahlt hatten. Stundenhotel! Als wir vor die Tür traten empfing uns ein strahlend blauer Himmel und mein Mann wollte weiter den Berg hinauf steigen. Ich aber war immer noch krank und konnte nicht mehr. Es half nichts, wir mußten umkehren, auf 3,250 m. Wie Schade, trotzdem war ich stolz auf mich. Niemals hätte ich gedacht soweit zu kommen und das ich nun krank war, war leider nicht zu ändern und es war die richtige Entscheidung umzukehren.
Als wir unseren Abstieg an der 8ten Station beginnen hörten wir auf einmal Gewehrfeuer. Die amerikanische und japanische Armee hielten ein Manöver in er Nähe von Mount Fuji ab und es war bis auf die Bergspitze zu hören und zu sehen.
Der Abstieg war lang, sehr sehr sehr lang, und viele stönende Touristen kletterten den Berg hinauf. Erst begrüßte man uns mit Ohaio gozaimasu, dann mit Konnichiwa und dann mit good morning und ich rief zurück: "Guten Morgen, daß ist ein langer Weg zur Spitze" Viele schauten uns verwundert an und lächelten. Mein Mann schaute mich verwundert an und sagte: "Du kannst immer noch Leute unterhalten!"
Je weiter wir den Berg hinunter stiegen, desto mehr Kopfschmerzen bekam ich. Wir mußten irgendwann anhalten und warten bis die Kopfschmerzen nachließen. Es war ein Kampf die hohen Stufen hinunterzusteigen über Lava-Gestein und Geröll. Mein Mann beklagte sich nicht einmal, als ich ihm einen Kuß auf die Stirn drücken wollte, drehte er sich weg, da Fuji San heilig ist. NIcht auf Mount Fuji, sie wird eifersüchtig!