Freitag, 11. März 2011
Im letzten Jahr war meine Familie und ich in Japan als das große Erdbeben stattfand. Die Kinder waren in der Schule, mein Mann auf der Arbeit und ich war als Testperson für Augencreme für Frauen zwischen 25 und 45 Jahren bei Shiseido in Gotanda.
Schon auf dem Weg zur U-Bahn Station hatte ich keine Lust nach Gotanda zu fahren. Auf halben Weg fuhr ich wieder nach Hause, doch dann fiehl mir ein, dass eine Bekannte von mir in Gotanda auf mich wartete und ich mußte wohl oder übel meinen Augencreme Test wahrnehmen. Eine japanische Kosmetikfirma (Shiseido) führte diesen Test bei hunderten von Ausländerinnen durch. Japanerinnen möchten immer weiß sein und daher enthalten Cremes Bleichmittel. Dies ist anders mit uns Caucasian Girls. Wie auch immer, ich habe von dem Test nie wieder gehört.
In Gotanda angekommen, marschierten wir zur Kosmetikfirma. Dort wurde akribisch Schritt für Schritt alles festgehalten und schließlich erhielten wir am Ende der Testphase einen kleinen Obolus. Es war vielleicht 14.00 Uhr, so genau weiß ich es nicht mehr, als wir endlich fertig waren.
Wir entschlossen uns noch einen Kaffee direkt gegenüber von der U-Bahn Station Gotanda zu trinken. Ein großes Gebäude mit vielleicht 10 Stockwerken. Oben auf dem Gebäude steht eine riesige Leuchtreklame. Hier zwei Bilder, dass linke Bild zeigt das Gebäude in Gotanda und das rechte Bild zeigt die Bürogebäude in Shinjuku. Mein Mann sass in einem dieser Gebäude. Meine Kinder waren in der Schule.
Gotanda
Was wir alle vier an diesem Tag und in den darauf folgenden Monaten erlebt haben ist unglaublich. Noch heute muß ich den Kopf hierüber schütteln. Alles war so chaotisch und ich spreche hier nicht von den Japanern, die sich vorbildlich verhalten haben.
Meine Bekannte ist eine stämmige Bayerin, die mit einem dünnen Japaner verheiratet ist. Sie weiß was sie will und wußte so gar nichts mit mir Nordlicht anzufangen. Trotzdem verstanden wir uns gut an diesem Tag und arbeiten in einem Team um nach Hause zu gelangen. Sie spricht gutes japanisch, da sie schon ziehmlich lange in Japan lebt.
Als das Erdbeben losging (14.46 Uhr) saßen wir gemütlich an einem Tisch am Fenster und konnten direkt auf die Gleise der Bahn schauen. Plötzlich fingen die Tassen an ChaCha Cha über den Tisch zu tanzen und entsetzt schaute ich mir das einen klitzekleinen Moment lang an. Dann klangen aufeinmal die laut klimpernden Kronleuchter an mein Ohr und nervös schaute ich mich um. Alle blieben ruhig an ihren Tischen sitzen. Niemand zeigte auch nur den geringsten Anschein, dass sie etwas bemerkt hatten. Ausser einer, nur für Kenner :) sichtbar, hier und da poppten die Augen der Japaner heraus. Inzwischen wackelte das Gebäude wild von einer Seite auf die Andere. Ähnlich wie in 3D Kino/s in Disneyland. Meine Knie wurden weich, obwohl ich noch auf meinem Stuhl sass. Panisch schaute ich meine Bekannte an und sagte: "Lass uns gehen". Nein, sie wollte sitzen bleiben, die Ruhe selbst. Das konnte ich von mir nicht sagen. Ich sprang auf und rief, okay, Du kannst sitzen bleiben ich buddle dich nacher aus und rannte an allen ruhig sitzenden Gästen vorbei, sowie dem Kassierer und erreichte den Ausgang. Stürzte die Treppe herunter und einen laut schreienden Kassierer hinter mir her. Nun waren die anderen Gäste auch hinter dem Kassierer und der gab auf. Wir alle rannten die Treppe runter, eigentlich sollte man unter den Tischen Schutz suchen aber das Gebäude machte den Eindruck, dass es jeden Moment zusammenfällt. Nun ja, am Ausgang angekommen blieben die meisten stehen, ich rannte auf den Bürgersteig. Dort blieben meine Bekannte und ich an der Ampel stehen, sichtlich geschockt und schauten nach oben auf die Reklame. Eigentlich wollte ich über die Kreuzung drüber laufen aber ich wurde festgehalten von ihr. Sie hatte Angst, dass mich ein Auto überfährt. Die Fußgängerampel war aber grün. Auf der anderen Seite wären wir weiter von den Gebäuden weg gewesen, zumindest war dies mein Gedanke aber am Ende gab es dort auch gefährliche Sachen wie Lampen, Bushaltestelle etc..
Das Beben hörte und hörte nicht auf. Ich war fertig fertig fertig und meine liebe Bayerin auch. Das Gebäude in dem wir saßen wackelte bedenklich von einer Seite auf die andere Seite. Ich war froh nicht mehr im Gebäude zu sitzen. Endlich hörte das Beben auf und ich zitterte vor Aufregung. Als es vorbei war fiehlen wir uns in die Arme, schluchz! Wir schauten uns an und ich war nicht die Einzigste die hier in Panik war. Ich versuchte sofort meinen Mann und die Kinder zu erreichen aber ich kam nicht durch. Dann schickte ich eine sms an meinen Mann und er antwortete nicht. Die Telefonleitung der Schule war tot. Ich postete auf Facebook und fragte, ob jemand weiss was an der Schule los ist.
Sobald die Ampel grün anzeigte überquerten wir die Kreuzung und nun erst fingen wir wieder an zu sprechen. Wir wollten sofort nach Hause fahren. In der Station angekommen, ließ man uns nicht durch die Schranken durch gehen. Nach ca. 5 Minuten kam eine Durchsage, dass der Zugverkehr eingestellt war. Die Station wurde geschlossen.
Vor der Zugstation standen wir einen Moment unschlüssig herum und dann fing ein Nachbeben an. Jetzt war ich die Ruhe selbst. Ich schaute mich um und entfernte mich aus möglichen Gefahrenzonen, dann setzten wir uns in die Hocke und hielten mit Fremden Händchen mit der einen Hand und mit der andern Hand schützten wir unsere Köpfe. Jeder wußte, dass dies hier ein episches Erdbeben ist. Auch dieses Nachbeben war lang und während des Erdbebens überlegte ich, wie wir am schnellsten nach Hause kommen konnten. Es war sehr weit zur Schule meiner Kinder. Diese ist in Yokohama. Meine Bekannte mußte noch weiter in den Süden. Ich schaute nach, ob die Batterie meines Telefons voll war. Leider nicht, 70%. Als das Nachbeben aufhörte sprangen wir in den nächsten Bus der anhielt. Dieser ging nach Kawasaki. Inzwischen wurde es richtig dunkel und Regenwolken, die den ganzen Tag über Tokio hingen wurden noch dunkler und schauten richtig bedrohlich aus. Es fing an zu regnen.
Kawasaki
Als wir in Kawasaki ankamen fuhr unser Bus von einer normalen Straße ab und bog auf den riesigen Vorplatz der Station ein. Hier warteten Tausende in Schlangen an den Bushaltestellen und Taxi Ständen. Es war eisig kalt.
Als wir ausstiegen mußte ich zur Toilette und auch hier warteten alle in einer langen Schlange. Schon bald war klar, dass ich unmöglich solange in der Kälte stehen konnte. Ich fing schon nach ein paar Minuten am ganzen Körper zu zittern an. Mir fiehl ein Buch ein, dass ich irgendwann einmal gelesen habe, dort erzählte ein Häftling, der ein Gefängnis in Russland überlebt hatte, dass er in seiner Zelle immer auf und ab ging um sich warm zu halten. Ja, ich weiß, hört sich komisch an aber das Beste war nicht auf den nächsten Bus zu warten, denn ich ging davon aus, dass das ganze Verkehrssystem zusammengebrochen ist und das hieß für mich, dass ich zu Fuß zur Schule laufen mußte. Wärend wir im Bus saßen gab es Geflüster, Tsunami, Tsunami hörte ich immer wieder. Leider konnte ich mein iPhone nicht benutzen weil ich die Karte brauchte um den Weg nach Hause zu finden. Als der Bus für einen Moment auf einer Brücke über einen Fluß anhielt schauten alle auf das Wasser.
Wir marschierten los um von Kawasaki nach Yokohama zu gelangen. Eigentlich wollte ich nicht direkt zur Yokohama Station aber ich wollte meine Bekannte auch nicht allein lassen. Ich kannte Yokohama Station sehr gut, da ich in 2006 dort gewohnt habe. Wir waren die Ersten die von Kawasaki aus aufbrachen. Unglaublich, die Dämmerung fing an und ich wollte noch schnell etwas im Seven/Eleven Laden kaufen. Alles war ausverkauft. Ich meine, es war vielleicht 16.00 Uhr oder 17.00 Uhr, keine Ahnung. Dies Bild ist nicht von 7/11 aber es gibt einen Eindruck darüber.
Als die Nacht einsetzte bemerkte ich, dass wir durch Stadtteile liefen die keinen Strom hatten. In den Geschäften, die noch offen waren kauften Leute Proviant. Als wir vielleicht 20 Minuten unterwegs waren kamen uns die ersten Leute entgegen, die in die andere Richtung mußten.
Inzwischen erhielt ich eine Email von meinem Mann, ihm ging es gut und er würde mit dem Zug um 19.30 Uhr nach Hause kommen. Was sollte ich dazu noch sagen? Dann erhielt ich eine Nachricht von ihm, dass es ganz schlimm aussieht in Tohoku. Zwischendurch probierten wir immer wieder unsere Männer oder Kinder zu erreichen aber die Telefonnetze waren zusammen gebrochen. Email und Facebook waren die besten Kommunikationsmittel.
Yokohama
Irgendwann kamen wir in Yokohama an. 60,000 Leute warteten in Schlangen auf Busse und Taxis, dass gleiche Bild wie in Kawazaki, nur hier gingen die Schlangen um die Blocks herum. Nun wollte ich allein weiter, doch meine Begleitung entschied sich mit zur Schule zu laufen, da ihre Freundin in der Nähe wohnt. Wir kamen nicht weit und stellten uns an einer anderen Station für den Bus an, da es dort keine Schlange gab. Die Kälte fraß sich langsam die Füße hinauf und ich wollte lieber weiter gehen.
Von irgendwoher kam ein Japaner und erzählte uns von einer Notunterkunft, die gegenüber offen wäre. Dort könnten wir die Nacht verbringen. Auch erhielt ich eine Nachricht, dass meine Kinder bei einer Bekannten übernachteten. Alle Kinder die nicht von der Schule abgeholt wurden, mußten in der Schule übernachten. Also entschloß ich mich in dieser Notunterkunft zu schlafen. Es war ein Theater und im Flug schliefen schon unzählige Leute. Der Boden war zu kalt für mich, also setzte ich mich ins Theater auf rote Plüschsessel. Die ganze Nacht durch wackelte Japan und ich sprang fast immer auf und ging raus in die Halle.
Samstag, 12. März 2011
Um 3.45 Uhr standen viele auf und holten sich eine Zeitung und da bekam ich das erste Mal das ganze Ausmass des Erdbebens mit. Schlimm! Es gab nur ein Bild von Flugzeugen, die von Autos umspült waren, zumindest sah dies so aus. Dies war mein erster Eindruck vom Tsunami. Trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, was da passiert ist.
Zwischendurch wackelte es wieder und die Zeitung vor mir zitterte leicht. Die Lampe an der Decke wackelte bei jedem Beben. Ich ging wieder raus. Die ganze Nacht habe ich nicht ein Auge zugetan. Kurz bevor Beben passieren gibt es Warnungen über das Handy und überall fängt es an zu piepsen.
Gegen 5.15 Uhr machten wir uns auf dem Weg, es wurde langsam hell. Am Busbahnhof war nichts los und wir stellten uns am Taxi Stand an. Sofort hielt ein Taxi und ich nahme es um nach Hause zu kommen. Was war ich froh endlich in einem warmen Taxi zu sitzen. Meine Bekannte wartete auf das nächste Taxi das gleich danach kam.
Zuhause angekommen begrüßte mich Wuffti überglücklich. Das Haus stand und war kalt. Iich schrieb schnell ein paar Emails und lud mein Handy auf. Eine sms von meinem Mann erreichte mich, dass er im Zug sitzt und nach Hause kommt. Er übernachtete in seinem Bürostuhl die letzte Nacht, im 15 Stockwerk. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und holte die Kinder ab. Bei meiner Bekannten war noch mehr Besuch. Kurz setzten wir uns vor den Fernseher. Hier wurde über Fukushima berichtet. Wir schauten uns einen Moment lang an und fragten uns wie weit Fukushima von uns weg ist. 285km! Das klang für uns weit genug weg. Bis dato haben wir nichts von der Deutschen Botschaft in Tokio gehört. Wir waren alle registriert und gingen davon aus, dass man uns rechtzeitig oder auch nicht über etwaige Gefahren informieren wird. Also blieben wir noch ruhig. Wieder erhielt ich eine Nachricht von meinem Mann, es war 7.00 Uhr morgens und er fragte, ob er ein Bier trinken könnte. Okay schrieb ich zurück. Der arme Kerl sass die ganze Nacht auf seinen Bürostuhl und nun fiehl der Stress von ihm ab. Ich bedanke mich und wir veraschiedeten uns. Meine Kinder waren so glücklich mich zu sehen und ich war glücklich sie zu sehen. Zuhause angekommen fand ich meinen Mann bereits schnarchend im Bett vor. Die Kinder wollten auch schlafen, die letzte Nacht war zu aufregend, da sie immer geweckt wurden, wenn es bebte. Ihr Bett war neben einem Bücherregal. Wir gingen alle zu Bett und schliefen uns erstmal aus. Unser Hause tanzte jedes Nachbeben aus. Wir bekamen nichts mehr mit und schliefen durch alle Nachbeben.
Gegen Abend (ca. 17.00 Uhr) wachten wir alle langsam auf. Mein Mann sass mit abstehenden Haaren vorm Fernseher und schaute die Nachrichten in japanisch. Ich setze mich dazu. Immer wieder bohrte ich nach, da er sehr wortkarg war, was der Kommentator nun sagt. In den Nachrichten ging es um Fukushima. Das Telefon klingelte und meine Freundin war dran und sagte mir, dass sie den Zug nach Narita nimmt und nach Okinawa fliegt. Ich fragte nach, wieso sie nach Okinawa fliegt. Daraufhin erzählte sie mir von der schwierigen Situation in Fukushima. Ich war auf einmal hellwach. Nachdem ich den Hörer aufgelegt habe, stürmte ich zu meinem verschlafenen Mann vor den Fernseher und fragte diesmal energisch nach, was der Kommentator sagt. Mein Mann sagt das Folgende: "Es schmilzt!" Sofort drehte ich mich auf dem Absatz um und holte unsere Rucksäcke, schrieh die Treppe hoch: "Alle anziehen wir fahren in 30 Minuten nach Süden (oder Westen, so genau wußte ich das auch nicht zu diesem Zeitpunkt). Während ich packte wunderte ich mich, warum wir nichts von der Botschaft gehört hatten, auch von der Schule kam nichts. Nur eine Person rief mich an, also rief ich meine Bekannte an, wo meine Kinder die letzte Nacht übernachteten. Sie war fertig und sagte mir, dass viele nicht wissen was sie machen sollen.
Nagoya
Mein Mann sass immer noch in seinem Pyjama mit Sturmfrisur und hangover vor dem Fernseher als wir drei vor ihm standen und darauf bestanden sofort Tokio zu verlassen. Sein Rucksack war fertig gepackt. Er wollte nicht. Also fesselten wir ihn (mit Worten) und riefen ein Taxi. 15 Minuten später waren wir in Shin-Yokohama und wenig später saßen wir in der Shinkansen mit 200 und etwas Sachen in Richtung Nagoya. in Nagoya angekommen. mein Mann mit Sturmfrisur, machten wir uns auf die Suche nach einem Hotel. Dort angekommen legten wir uns auch gleich wieder ins Bett. Puh, nochmal Glück gehabt, den Gauk entkommen.
Sonntag, 13. März 2011
Am nächsten Morgen erhielt ich die ersten Anrufe von anderen Deutschen. Junge, Junge, eine Firma hat ein Flugzeug gechartet um seine Leute rauszuholen. Alle Deutschen die wir so kannten waren inzwischen in Nagoya angekommen und übernachteten im Marriot Hotel. Dieses Hotel ist auf Platz 5 der höchsten Hotels in der Welt. Echt hoch! Wenn es wackelt, wackelt es .... . Wir waren in einem etwas günstigeren Hotel untergebracht. Mein Mann seine Firma hatte auch kein Charter Flugzeug gemietet und seine Kollegen werden sich bestimmt wundern wo er am Montag ist, falls er nicht auftaucht aber da habe ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Beim Frühstück (Sonntag morgen) sagte mein Mann, dass er Mittags wieder nach Tokio fahren will. Nun, der Sache konnte ich nicht folgen. Der Gauk ist morgen nicht vorbei, sagte ich. Dann bekam ich eine sms, dass ein Krisen Meeting der Deutschen im Marriot Hotel abgehalten wird und ob mein Mann teilnehmen möchte. Er schüttelte nur den Kopf. Nun, dann kam sein alter Samurei Geist heraus und er bestand darauf nach Tokio mit kompletter Familie zurück zu kehren. Ich ergab mich. Die Wolke sollte erst Dienstag nach Tokio kommen. Insgeheim hoffte ich, dass seine Arbeit ihn auch nach Hause schickte. Als wir in Tokio ankamen erfuhr ich, dass noch nicht alle weg waren. Keiner hatte etwas von der Botschaft gehört. Flüge waren unerschwinglich teuer. Die Fluggesellschaften waren auf diesen Ansturm nicht vorbereitet.
Montag, 14. März 2011
In der Nacht erhielt ich einen Anruf von meiner Familie und jeder versuchte mich zu überzeugen, dass Land zu verlassen. Nach und nach schaltete sich jemand zum Konferenzcall dazu. Das Land verlassen war nicht so einfach. Mein Mann schlief neben mir und wachte immer wieder zwischendurch auf und sagte: "Leg auf, soviel Panik"
Am nächsten Morgen machte mein Mann sich wie eh und je fertig und ging zur Arbeit. Er war überzeugt, dass ich als Deutsche überreagierte und er war überzeugt, dass ich eine gute Ehefrau bin und auf ihn höre. Nun ja, ich bin eine gute Ehefrau aber ich höre nicht immer auf ihn.
Fahnenflucht
Als er das Haus verließ packte ich meine Kinder unter den Arm und wir fuhren wieder nach Nagoya. Diesmal gab es lange Schlangen in Shin-Yokohama. Wir waren nicht allein mit unserer Angst.
Fahnenflucht
Als er das Haus verließ packte ich meine Kinder unter den Arm und wir fuhren wieder nach Nagoya. Diesmal gab es lange Schlangen in Shin-Yokohama. Wir waren nicht allein mit unserer Angst.
Nagoya liegt ungefähr 500 km von Fukushima weg. Dort angekommen kümmerte ich mich um eine billige Unterkunft. Eine Bekannte bot mir an bei ihr zu übernachten. Genial. Ich bekam zwischendurch eine Textmessage von meinem lieben Mann, er ärgerte sich, dass es keinen Strom gab und er irgendwo festsass. Noch wußte er nicht, dass ich desertiert war. Eine Bekannte von mir hatte ihren japanischen Ehemann so weich geklopft, dass er sie völlig entnervt in das nächste Flugzeug setzte, damit er in Ruhe weiter arbeiten konnte.
Als der tägliche Mittagsanruf von meinem Mann kam, erzählte ich ihm, dass wir bereits wieder in Nagoya sind. Von nun an wollte er nicht mehr über Fukushima sprechen und sprach nur noch in seiner bedrohlichen japanischen Stimm um mich zu überzeugen und an meine Pflichten zu erinneren. Das war mir Piep egal. Erstmal wollte ich wissen was los war.
Am besten war die japanische Regierung, die Ausländer zur Ruhe ermahnten. Nur cool! Sie sollten sich doch geordnet verhalten und sich wie Erwachsene / Männer benehmen. Nun ja, dass war bei mir gründlich in die Hosen gegangen und wie ich später erfahren mußte wohl auch bei der Deutschen Botschaft, auch und der Deutschen Schule.
Noch am gleichen Abend in Nagoya war der totale Stress. Meine Freundin ihr Mann, der im Moment nicht in Japan war, verlangte, dass sie sofort das Land verläßt. Ihr Eltern weinten, na ja das volle Programm. Ich rief meinen Mann an, er nahm nicht ab. Ich versuchte ihn über Email zu erreichen, er antwortete nicht. Also versuchte ich es mit dem letzten Druckmittel: "Wir fliegen!"
Sofort bekam ich einen Anruf und mein Mann sagte mit seiner bedrohlichen japanischen Stimme: "Mischa, es reicht Du gehst nach Okinawa. Ich habe für euch ein schönes Hotel am Strand gebucht. Dort wartet ihr bis die Schule wieder öffnet." So sorglos, am Strand! Japaner sind super cool, ich Deutsche bin super uncool!
Dienstag, 15. März 2011 (radioaktive Wolke erreicht Tokio)
Okinawa
Am nächsten Morgen nahmen wir die Shinkansen nach Osaka und flogen dann nach Naha auf Okinawa. Wir wurden von einem richtig miesen Wetter empfangen und schliefen die erste Nacht in einem Hotel in Naha. Danach ging es mit dem Bus über Land Richtung Norden zu unserem Hotel. Drei Stunden Fahrt. Das Hotel war auf einem Hügel mit einem wunderschönen Blick über die Bucht.
Am 16. März 2011 kamen wir in Okinawa an. Wir erhielten eine Email oder ein Telefonat, das Logo meine Kinder interviewen wollte aber wir hatten keine Internet Verbindung im Hotel und gaben das Interview an eine andere Familie ab. Inzwischen meldeten sich die Familien. Einige waren in Bangkok, Hongkong, Indonesien, Singapur, Deutschland und Amerika.
Die Schule war geschlossen und sollte noch zwei volle Monate weiter geschlossen bleiben. Jeden Tag warteten wir auf Nachrichten aus Tokio. Jeden Tag wurden wir auf einen anderen Termin verwiesen. Immer mehr japanische Mütter kamen mit kleinen Kindern in Okinawa an und warteten ab. Mein Mann vermied jedes Gespräch über Fukushima und wechselte immer zu seinem Hauptthema, den Heuschnupfen oder auch als KAFUNSHO bekannt. Mein Schwager nahm viele Flüchtlinge aus Fukushima auf. Ich unternahm mit den Kindern viele Tagestouren um sie von der Katastrophe abzulenken.
Bis Ende März verweilten wir in Okinawa. Danach flogen wir nach Osaka und mein Mann kam von Tokio um uns zu verabschieden. Am nächsten Morgen ging es nach Berlin. Dort blieben wir bis Ende des Schuljahres. Erst im Juli 2011 sollten wir wieder vereint in Tokio leben. Wir sind froh, dass wir eine so liebe Familie haben, die uns während dieser Zeit aufgenommen hat. Die ganze Zeit über erhielten wir nur eine Email von der Deutschen Botschaft in Tokio über Flugtickets, die noch erhältlich waren. Dies ist bereits das zweite Erlebnis einer Krise mit der Deutschen Botschaft und in beiden Fällen konnte man sich nicht auf diese Aussenstelle von Deutschland verlassen. Nun in diesem Jahr, 2012, hatte ich Gott sei Dank, eine andere Erfahrung gemacht. Deswegen bin ich nicht mehr ganz so enttäuscht. Doch in einer Krise ist man im Ausland in den ersten 24 bis 28 Stunden immer auf sich allein gestellt und sollte wirklich nach seinem eigenen "Verstand" handeln, auch wenn es sich später als Irrtum herausstellt. Lieber Vorsicht wie Nachsicht.
27. März 2011 Flug nach Berlin